Carola von Seckendorff

Carola v. Seckendorff wurde 1965 in Frankfurt/Main geboren. Nach dem Abitur machte sie in Frankfurt eine Pantomimenausbildung in der Theaterwerkstatt Fe Reichelt und verwirklichte anschließend in Frankfurt mehrere Off Theaterprojekte. Dann absolvierte sie ein Schauspielstudium in der „Schule des Theaters“ am Theater der Keller in Köln und schloß dieses mit der Bühnenreifeprüfung 1991 ab. Ihr erstes Engagement führte sie an das Landestheater Burghofbühne in Dinslaken und von dort wechselte sie 1993 an das Wolfgang Borchers Theater in Münster. 1996 wurde sie dann an die Städtischen Bühnen Münster engagiert, wo sie bis heute als Schauspielerin und teilweise auch als Regisseurin arbeitet. Ferner ist sie seit 2002 Sprecherin in der Westdeutschen Blindenhörbücherei und seit 2010 Dozentin für szenische Grundlagen an der Musikhochschule Münster. Sie hat in den letzten Jahren regelmässig am Landestheater Castrop-Rauxel inszeniert, freie Projekte realisiert und gründete 2015 ihr eigenes freies Label FreiFrau unter dem MutterHabenSein, MenschMünsterMensch und letztes Jahr das theaterübergreifende Großprojekt 24 Stunden Münster entstand. Sie lebt in Münster, ist verheiratet und hat 2 Kinder.

5 Fragen an: Carola von Seckendorff

Dein Festival-Projekt in zwei Sätzen?

Brandreden im Allgemeinen sind in unserer Demokratie im Gegensatz zu autoritären Systemen, in denen die Rede lediglich sprachliche Legitimationsapparate für Unterdrückung und Verfolgung Andersdenkender sind, die friedliche Alternative zu repressiven oder aggressiven Mitteln gesellschaftlicher Steuerung. Uns bewegt die Frage, wie Frauen politisch ihre Stimme erheben und ob sie durch die letzten Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte, eine andere Form des sprachlichen und gestischen Ausdruck des Protests entwickelt haben im Vergleich zu Männern. Wie weit sind wir mit der Verwirklichung der Gleichberechtigung.

Was hat dich zu diesem Beitrag inspiriert?

Es gab geballt in der letzten Zeit eine Reihe von streitbaren öffentlichen Reden zu mehr als brisanten Themen von jungen Frauen, allen voran natürlich Greta Thunberg, aber auch Carola Rackete, Megan Rapnioe die auf eine besondere Weise Missstände sichtbar und offenbar gemacht haben. Es scheint so zu sein, dass vornehmlich Frauen sich wagen auch emotional politisch zu argumentieren und aufzurütteln. Auch erlauben sich Frauen im Gegensatz zu Männern kreative, eruptive und körperliche Proteste und Gesten, die provozieren und einen sinnlichen, vehementen Ausdruck für das zu Beklagende, neben dem gesprochenen Wort in die Öffentlichkeit tragen. Aktionen von Pussy Riot, Femen, der „Women´s March“ gegen sexuellen Terrorismus, kollektiver, feministischer Tanz wie „One Billion Rising“ oder „Der Vergewaltiger bist Du!“ inspirieren uns parallel dazu und zeigen wie man mit phantasievollen, länderübergreifenden Flasmobs auf strukturelle Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen kann.

Was bedeutet Demokratie für dich?

Demokratie bedeutet einen fortwährenden Prozess der Auseinandersetzung und des Dialogs miteinander. Ein permanentes Abwägen von Meinungen, Tatsachen und Notwendigkeiten. Das ist anstrengend und manchmal auch unmöglich, aber verhindert die Diktatur Einzelner, auch wenn das vermeintlich einfacher zu sein scheint. Demokratie bedeutet die Kunst der Diplomatie und Transparenz zu beherrschen. Demokratie bedeutet sich niemals über andere zu erheben. Demokratie, wenn sie gelingt, schafft die größtmögliche Freiheit.

Welche Rolle spielt Kunst in einer demokratischen Gesellschaft?

Kunst ist ein Spiegel, der tieferliegende, nicht auf den ersten Blick sichtbare Schichten des Gespiegelten aufzeigen und meiner Meinung nach, auch verändern kann. Kunst ist ein sinnliches Portal in die Untiefen des Menschen und vermeintlicher demokratischer Systeme. Ein Gradmesser für die Verwirklichung von Demokratie. Kunst macht Unsagbares sichtbar. Mit Kunst wird der Prozess der fortwährenden Auseinandersetzung, des notwendigen demokratischen Dialogs angeregt und vertieft.

Was macht Corona mit der Demokratie (und unserem Festival)?

Corona rules. Plötzlich sieht sich eine demokratische Gesellschaft gezwungen ihre freiheitlichen Prinzipien zugunsten der Gesundheit aufzugeben. Solange dies transparent, faktisch und wissenschaftlich belegt vermittelt wird, sind wir bereit unsere Freiheit eine zeitlang aufzugeben. Corona entschleiert aber auch auf frappierende Art bestehende Ungleichheiten und wirtschaftliche Missstände. Von jetzt aus können wir nicht wissen, wie geschädigt oder gestärkt unsere Demokratie daraus hervorgeht. Wir können noch nicht wissen, wie der Graben zwischen denen, die ihre Existenz gesichert wissen und/oder gar einen höheren Sinn in dieser Krise sehen und denen die schwer erkrankt und/oder wirtschaftlich an die Grenzen gebracht wurden, überbrückt werden kann.
Unser Festival haben wir ins nächste Bundestagswahljahr (was fast noch mehr Sinn macht) retten können. Im besten Fall können wir künstlerisch mannigfaltig reflektierend auf diese gemütliche Apokalypse zurückschauen. Aber mit Besorgnis frage ich mich, was von Kunst und Kultur bleibt, wenn wir noch lange mit Corona leben müssen. Sollte die darstellende Kunst nur noch mit Abstand und im Netz stattfinden können, bin ich raus.