Grußworte

Oberbürgermeister Markus Lewe, Schirmherr des Festivals der Demokratie

Wir sind im Aufbruch und im Umbruch. Das ist eine Zustandsbeschreibung der Lage vieler größerer und großer Städte international. Die gute Nachricht ist: Wir haben alle guten Voraussetzungen, die Zukunft und ihre Chancen zu gestalten. Münster hat sich in den letzten zehn Jahren sehr verändert: Die Stadt ist gewachsen, großstädtischer und bunter. Toleranz und gegenseitiger Respekt sind in unserer Stadt allgegenwärtig und werden gelebt. Wir sind urban, weil wir die städtischen Qualitäten konsequent entwickeln und von dem steten Zustrom junger Menschen an den Hochschulen profitieren. Und wir bieten ein Zuhause, weil wir die Bezüge der Menschen zu ihren Stadtteilen bewahren. Es geht vor allem darum, Zusammenhalt und soziale Sicherheit zu schaffen, die wir mit Blick auf die politische Entwicklung in ganz Europa so dringend brauchen. Der bisherige Konsens zu den Werten einer freien und demokratischen Welt wird zunehmend infrage gestellt. Daher sind alle gesellschaftlichen Bereiche und Politikfelder aufgerufen, für die Stärkung von Toleranz und demokratischen Werten einzutreten. Und deswegen gibt es wohl kaum ein Themenfeld, das hinsichtlich seines Umfangs, seiner Aktualität und hinsichtlich seines Einflusses auf das tagtägliche Leben der Menschen eine so hohe Bedeutung hat wie der Erhalt unserer Demokratie. Unsere Städte – ganz gleich ob Provinz oder Metropole – sollten als junge, offene Orte auf der Basis von Vertrauen und Sicherheit schaffender demokratischer Werte funktionieren und wahrgenommen werden. Münster ist Friedensstadt. Die Politik, Medien, Öffentlichkeit, Kultur und Gesellschaft gehen hier ausnahmslos behutsam mit allen Fragen und Themen rund um den Frieden und unser gesellschaftliches Miteinander um. Schließlich dreht es sich immer wieder um die Frage, wem die Stadt gehört. Die Antwort ist stets: Allen, die dort leben. Wenn dieser Geist überwiegt, dann beschert er die Glücksmomente einer offenen Gesellschaft: Dass sich Bewegungen für etwas bilden und nicht gegen etwas – das ist eine aktive Bürgerschaft, die Mitsprache und Beteiligung fordert und sie auch praktiziert. Als pragmatischerer Gegenpol zu Protest-Kulturen und Gegen-Protest-Kulturen unserer Zeit. Ganz so, wie es in einer funktionierenden Demokratie sein soll, die nicht nur Mitredner, sondern auch Mitmacher und Mitverantwortliche braucht. Echte „Beteiligung“ signalisiert: Niemand soll für sich in Anspruch nehmen dürfen, dass seine Wahrheit die einzige Wahrheit ist. Jeder trägt mit seinen eigenen Ideen und Erkenntnissen seinen Teil zum Ganzen bei. Das brauchen wir für unsere Städte: dass Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. In diesem Sinne bin ich froh und dankbar, dass sich die Initiatoren, Mitstreiter und Unterstützer dazu entschlossen haben, das 24-Stunden-Münster-Projekt fortzuführen, weiterzuentwickeln und es thematisch auf eine andere Ebene zu heben. Ich bin voller Spannung und Vorfreude auf das „Festival der Demokratie“.

Markus Lewe
Oberbürgermeister der Stadt Münster
Oberbürgermeister Markus Lewe

Foto: Presseamt Stadt Münster

Klaus Brinkbäumer, Schirmherr des Festivals der Demokratie

Dass 2020 dereinst als historisches Jahr betrachtet werden wird, in einer Reihe mit 1914, 1945, 1989, 2001 (und natürlich weiteren), das steht noch nicht fest, aber wir dürfen es annehmen. Wird 2020, das Corona-Jahr, dann auch als Jahr der Demokratie betrachtet werden?
Wir erleben in diesen Tagen, Wochen, Monaten, welche Veränderungen uns mit welcher Wucht ereilen können; wie sehr uns die Kontrolle über sämtliche Aspekte unserer Gesellschaften und unseres Alltags entgleiten kann, wenn erst ein Virus außer Kontrolle ist. Wir erleben allerdings auch, wozu wir, gemeinsam, in der Lage sind. Welche Kraft Demokratie haben kann.
Als die Welt auf Covid-19 reagierte, war sie eines leider nicht: eine Gemeinschaft. Die Vereinten Nationen spielten keine Rolle in diesem Abwehrkampf, ihr Sicherheitsrat blieb erschütternd stumm. Und auch die Europäische Union schwächelte: Da war keine Strategie, keine gemeinsame Sprache, bloß die Rückkehr der Grenzen von einst.
Erstaunlich eigentlich, dass ausgerechnet ein Virus, das um die Welt ging, zu einer Abkehr von Globalisierung und Multilateralismus führte. Aber so war es: Jede Nation agierte und reagierte für sich, und darum konnten wir einen Wettstreit der Systeme erleben.
Autokratien oder auch Diktaturen wie China setzten beschlossene Maßnahmen rigide durch und konnte vergleichsweise früh eben diese Maßnahmen wieder lockern. China allerdings hatte eben auch versagt, zuvor. Als das Virus in Wuhan noch einzufangen gewesen wäre, durften die Ärzte dort nicht darüber reden; dann wurde die Welt belogen; Journalisten, die beschreiben wollten, was war, wurden ausgewiesen; und bis heute können wir den Zahlen aus Peking nicht trauen.
Populistische Regierungen wie jene in Brasilien oder in den USA standen sich selbst im Weg, weil sie halt so maßlos gierig auf die Mehrung des eigenen Ruhmes versessen sind: Wissenschaftliche Wahrheiten mussten verbogen werden, damit die ruhmreichen Führer von der eigenen Fehlerlosigkeit palavern konnten – nein, es ist nicht übertrieben, wenn wir sagen, dass wegen der Inkompetenz von Bolsonaro und Trump viele Tausend Menschen starben.
Liberale Demokratien wie die deutsche oder die neuseeländische machten es besser. Sie vertrauten ihren Experten. Sie erklärten ihre Erkenntnisse und ihre Strategien, nahmen die Bürgerinnen und Bürger durch beständige Kommunikation mit und machten die Anstrengung zu einer gemeinsamen. Ist es nicht erstaunlich, wie viel Empathie, wie viel Rücksicht möglich sind, aber auch wie viel Kraft und Mut unsere Gesellschaft aufbringen kann? Wie scharf sie die Richtung ändern kann, wenn sie nur erkennt, dass es nötig ist?
Zweierlei allerdings wissen wir noch nicht.
Wir wissen nicht, ob die liberale Demokratie auch jenes System ist, dass einen Kurs, der von jedem und jeder Einzelnen viel verlangt, langfristig durchhalten kann. Und wir wissen nicht, ob die Demokratie ähnlich fulminant handeln kann, wenn die Bedrohung entfernt und noch gar nicht oder erst schwach fühlbar ist. Klimaforscher nennen es die „Tragödie des Horizonts“: Kann die Demokratie etwas verhindern, das hinterm Horizont liegt?
Bald werden wir es wissen, werden wir es erfahren.
Doch nein, dieser Satz ist zu passiv.
Wir sollten dafür streiten, dass die Antwort ein historisches „ja“ sein wird.

Klaus Brinkbäumer
Autor und ehem. Chefredakteur des Spiegel
Klaus Brinkbäumer

Foto: Tobias Everke

Grußwort der Festivalleitung

Wir schreiben diese Zeilen inmitten der Vorbereitungen zum Festival der Demokratie und dieses „Inmitten“ fällt in einen noch nie da gewesenen globalen Stresstest, einen Ausnahmezustand, der die Welt zum Stillstand und zum Perspektivwechsel zwingt: Corona. Alles bisher sicher Geglaubte ist relativiert. Corona betrifft uns alle, gleichermaßen – egal welcher Hautfarbe, welchen Ursprungs, welchen Standes, welchen Geldbeutels, welcher Machtposition. Corona macht vor nichts und niemandem Halt. Wir stellen erstaunt fest wie verletzlich wir sind, wie angreifbar. Wir werden auf uns selbst zurückgeworfen. Wir erfahren, welches eigentlich die Werte sind, die unsere Welt zu einer Lebenswerteren machen könnten. Und plötzlich sind Dinge möglich, die lange unvorstellbar waren. Plötzlich können wir ganz viel bewegen, plötzlich wird unsere Politik handlungsfähig – mehr als jeglicher politischer Protest bisher erwirken konnte. Plötzlich können wir solidarisch sein, plötzlich können wir Verzicht leisten, um schwächere Menschen (und letztlich auch uns selbst) zu schützen. Insofern birgt diese globale Krise auch eine Chance. Eine Chance für mehr Demokratie, eine Chance zu einem grundlegenden Umdenken. Wir hoffen, dass die momentane Notwendigkeit der Einschränkung der Grundrechte und Grundfreiheiten letztlich nur um so mehr deren Notwendigkeit bestätigt. Unser Festival trägt genau diesen Geist in sich. Den Geist der Solidarität, der Wertschätzung jedes einzelnen Menschen. Wir stehen alle miteinander in Verbindung, das Leben selbst verdient die größtmögliche Demut. Wir wollen mit unseren vielfältigen Beiträgen aus jeglicher Kunstrichtung, mit all dem künstlerischen, kreativen Potential dieser Stadt, diesen nun zwanghaft neu erlebten Werten Raum und größtmögliche künstlerische Freiheit geben. Wir hoffen, dass wir im Herbst diese Krise halbwegs überstanden oder einen lebbaren Umgang gefunden haben und unser „Festival der Demokratie“ wahrlich befreit mit Ihnen/Euch feiern können.

Cornelia Kupferschmid und Carola von Seckendorff
Festivalleitung
Carola von Seckendorff und Cornelia Kupferschmidt

Foto: Franz Kammer