Christiane Hagedorn

…ist den Münsteranern bekannt als „Der kleine Spatz vom Bosporus“ (entwickelt und geschrieben von Tuğsal Moğul und Christiane Hagedorn), als Frontfrau von CONJAK (u.a. „Tanz auf dem Vulkan- Songs der Weimarer Republik“, „Lady Day- The Billie Holiday Story“) oder als Mitglied des „MutterHabenSein“- Ensembles (FreiFrau).
Sie singt und spielt, seit sie denken kann, studierte zunächst Schauspiel an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin, arbeitete in großen Rollen auf Bühnen wie dem Staatstheater Cottbus, Hans Otto Theater Potsdam, Theater Osnabrück und dem Münsteraner Stadttheater (wo sie für ihre Leistungen als Schauspielerin den großen Preis der Musik- und Theaterfreunde Münster sowie 3x den Publikumspreis „Goldener Taler“ der Volksbühne Münster erhielt).
Inzwischen singt sie in 9 Sprachen von Deutsch bis Türkisch, ist mit zahlreichen Projekten zwischen Jazz, Pop, Chanson, Weltmusik und Theater unterwegs in Clubs und auf Festivals im In- und Ausland (u.a. Internationales Jazzfestival Münster, International Theatre Festival Bergama, NRW Theatertreffen, Ruhrfestspiele), sang und spielte mehrere Jahre an der Seite von Götz Alsmann und kann und will sich einfach nicht entscheiden, was sie lieber ist: Sängerin oder Schauspielerin…
Christiane Hagedorn ist verheiratet, Mutter zweier Kinder und lebt als freie Schauspielerin, Sängerin/Songschreiberin und Autorin in Münster.

5 Fragen an: Christiane Hagedorn

Dein Festival-Projekt in zwei Sätzen?

Wir beschäftigen uns mit Songs aus mehreren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, die ein Spiegel ihrer Zeit sind und teilweise sehr deutlich machen, wie dünn das Eis der Zivilisation im Zweifelsfall ist und immer war.

Was hat dich zu diesem Beitrag inspiriert?

Das Epilog- Zitat aus Brechts „Arturo Ui“:
„Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert
Und handelt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt‘ einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Dass keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“,
denn seit längerer Zeit beobachte ich nicht ohne Entsetzen, wie die Sehnsucht nach starken Führern (die endlich mal durchgreifen) in bestimmten Teilen der Bevölkerung weltweit wächst wie auch das offensichtliche Bedürfnis Einiger, ihrer Wut auf die vermeintlich Schuldigen freien Lauf lassen zu dürfen. Nach 1945 haben sicher Viele geglaubt, dass so etwas wie Auschwitz in der freien demokratischen Welt nie wieder passieren kann. Wenn ich mich aber z.B mit Musik oder Literatur aus den 20er Jahren beschäftigt, entdecke ich teilweise verblüffende Parallelen zu heute, was alltägliche Befindlichkeiten, Ängste und daraus resultierende Aggressionen betrifft, die manchmal subtil, manchmal ziemlich offen daherkommen, selbst in scheinbar harmlosen und witzigen Liedern.

Was bedeutet Demokratie für dich?

Die Chance, im Zusammenleben eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, der möglichst viele Menschen mitnimmt und im Idealfall keinen abhängt. Etwas, was man nicht geschenkt kriegt, sondern für dessen Gelingen man selber Verantwortung trägt. Voraussetzung ist die Bereitschaft zum Kompromiss, was bedeutet, dass ich akzeptieren sollte: So wie ich es ideal fände, wird es nie sein, aber wenn’s gut läuft, kann es so sein, wie ich es immerhin ganz gut finde.

Welche Rolle spielt Kunst in einer demokratischen Gesellschaft?

Kunst kann „den Finger in die Wunden legen“. Auf Schieflagen aufmerksam machen. Dafür sorgen, dass unbequeme Themen nicht totgeschwiegen werden. Denen eine Stimme geben, die es schwer haben sich Gehör zu verschaffen. Kunst muss nicht immer den „richtigen Ton“ treffen, darf provozieren, grotesk, absurd und schon auch mal unkorrekt sein. Und vor allem kontrovers. Für mich ist Kunst Kommunikation auf emotionaler Ebene. Ich muss das nicht immer verstehen, es kann mich trotzdem total berühren. Das geht in einer Diktatur auch (obwohl es für Diktatoren die Hölle ist, weil sie es nicht wirklich kontrollieren können), nur muss man da sehr geschickte Wege finden, immer haarscharf an der Zensur vorbeizuschrappen und trotzdem noch von den Leuten verstanden zu werden. Ich hab das in der DDR erlebt. Da war die Gefahr schon sehr hoch, dass man als Künstler kaltgestellt wurde, wenn man den Bogen überspannt hatte. Bin froh, dass das vorbei ist.

Was macht Corona mit der Demokratie (und unserem Festival)?

Corona zeigt mir, dass es für unsere Regierung plötzlich erstaunlich leicht ist, an sehr großen Schrauben zu drehen, sehr viel Geld in die Hand zu nehmen und sehr viele Bürger hinter sich zu bringen, die bereit sind, ihnen zu vertrauen und das alles mit zu tragen.
Corona wirkt auch in Teilen wie das viel zitierte Brennglas, das überdeutlich macht, wo die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft liegen.
Vieles, was jetzt für Empörung sorgt, ist ja nicht wirklich neu. Manches ist jetzt aber definitiv nicht mehr tragbar und man kann es nicht mehr weg reden oder tot schweigen.
Dass die Nerven vieler Leute blank liegen, sieht man an wachsendem Hass und Verschwörungserzählungen im Netz, auch an Gewaltausbrüchen auf der Straße, aber insgesamt bin ich erstaunt, wie verhältnismäßig ruhig die Meisten bleiben.
Kann sein, dass das kippt, wenn Corona wieder heftiger zuschlagen sollte oder wenn „die neue Normalität“ doch noch sehr viel länger gelebt werden muss als momentan erhofft. Kann sein, dass die wirtschaftlichen Folgen der Krise viele Verlierer produzieren- so was ist immer eine harte Probe für die Demokratie…
Für unser Festival hoffe ich, dass im Herbst 2021 keine Kontaktbeschränkungen mehr nötig sind, denn es lebt vom direkten Zusammenkommen der Menschen und soll ja auch zum Austausch miteinander einladen, nicht nur zum zugucken.
Was bis dahin passiert, wird in unsere Arbeit einfließen und möglicherweise auch das eine oder andere Teilprojekt noch mal verändern. Bin gespannt…